Depression und Rassismus

14.10.2021

Was hat Rassismus mit Depressionen zu tun?

Neurotic Symptoms, 1947. Illustrated by Boris Artzybasheff


Heute möchte ich eine Thematik ansprechen, von der ich selbst nicht betroffen bin.

Ich schicke daher den Disclaimer vorweg: Sollten meine Formulierungen Anstoß finden, bitte unbedingt darauf hinweisen. Ich lerne noch dazu in diesem Gebiet und freue mich über Nachrichten.

Es geht um Depressionen und Rassismus. Doch was hat Rassismus mit Depression zu tun?!, fragst du dich an dieser Stelle vermutlich.

Um mich überhaupt damit befassen zu können, musste ich mir zunächst einmal - zu meiner Schande eingestehen - dass ich mich persönlich erst relativ spät mit der Lebensrealität nicht-weißer Menschen oder Menschen, die sich phänotypisch von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden, befasst habe. Dies ist für mich selbst vor allem deshalb im Nachgang so verwunderlich, weil in meinem engen Umfeld und Freundeskreis die Möglichkeit, sich damit zu befassen, mehr als vorhanden war und ist.

Ich bin in den 1990er Jahren in einer mittelfränkischen Kleinstadt aufgewachsen. An den Wochenenden war meine Familie meist zu Besuch bei meiner Tante, die mit ihrem Ehemann und drei Kindern auf einem nahegelegenen Dorf lebte. Meine Cousins und ich machten gerne bis in die späten Abendstunden hinein das Dorf unsicher. Schnitzeljagd, Verstecken spielen, "Klingel putzen", Kaulquappen im Weiher (oder auch in der Kläranlage) fangen. Alles, was so dazugehört. Dass mein Onkel und meine Cousins schwarz sind, hat für mich nie eine Rolle gespielt. Im Gegenteil: Es war für mich das Normalste der Welt.

Als ich dann später im Alter von zehn Jahren von der kleinstädtischen Grundschule auf das örtliche Gymnasium wechselte, gab es dort nur ein einziges schwarzes Mädchen in meinem Jahrgang. Auch hier muss ich heute rückblickend gestehen: Ich habe kein einziges Mal darüber nachgedacht oder sie als "anders" angesehen. Ich habe es deshalb nicht realisiert, weil es für mich absolut keinen Grund gab über solche Nebensächlichkeiten wie die Hautfarbe oder die Religion nachzudenken. Mensch ist Mensch. Wo soll da der Unterschied sein?

Tatsächlich ist mir erst relativ spät - ich war etwa 14 Jahre alt - aufgefallen, dass es Personen gibt, die einen Unterschied zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe machen. Ich weiß noch genau, dass ich damals meinen Vater dazu befragte und er mir erklärte, dass Menschen nicht-weißer Hautfarbe, anderer Religion oder Kultur sowie anderer Herkunft mit bestimmten Vorurteilen und Stereotypen behaftet sind. Ich war darüber sehr verwundert. Eine Erklärung dafür blieb mir mein Vater schuldig.

Später im Geschichtsstudium hatte ich die Gelegenheit mich intensiv mit der Diskriminierung von Minderheiten aus historischer Perspektive auseinanderzusetzen und untersuchte Ausgrenzungsmechanismen, die bis heute aktiv sind und von Generation zu Generation - oft auch unbewusst - weitertradiert werden.

Doch spätenstens hier wurde mir auch bewusst, dass ich bisher wohl zu ignorant gewesen war, mich mit der Lebensrealität meiner Mitmenschen, die zufällig nicht weiß, Christen oder heterosexuell sind, zu befassen. (1)

Es gibt einige Menschen in meinem Umfeld, die aufgrund ihres Äußeren in der Vergangenheit und Gegenwart anders behandelt wurden bzw. werden als die Mehrheitsgesellschaft.

Vor einigen Wochen hat mir eine junge, hochintelligente Frau, die heute als Rechtsanwältin tätig ist, von ihren Rassismuserfahrungen in der Grundschule berichtet. Als die Lehrerin ihre Schülerinnen und Schüler vor der Klasse fragte, was sie denn einmal werden wollen, antwortete sie geradeheraus, dass sie gerne Anwältin werden würde.

Die Antwort der Pädagogin hierauf lautete: "Liebes Kind, es kann hier in Deutschland nicht jeder Anwalt werden. Wir brauchen auch Leute für die Müllabfuhr." Ein Glück, dass dieses kleine Mädchen sich nicht von dieser sogenannten Lehrkraft hat davon abhalten lassen, ihren Weg zu gehen und an sich selbst zu glauben.

Warum erzähle ich das hier alles?

"Weil Migrationsgeschichten [oder Migrationshintergründe] viel zu selten als Ursachen oder zumindest Verstärker psychischer Erkrankungen erkannt werden."** (Miriam Davoudvandi)

Für viele dieser Menschen ist es trauriger Alltag sich tagtäglich damit auseinandersetzen zu müssen, dass sie aufgrund ihres Aussehens anders behandelt werden. Sie sind sich dessen nur allzu sehr bewusst sind, dass sie eben anders aussehen als die meisten Menschen in ihrer Umgebung. Oder sie haben das Gefühl, immer doppelt so viel tun zu müssen, um Anerkennung zu erhalten, um da sein zu dürfen und um als Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Menschen, die mit Vorurteilen über ihr Verhalten zu kämpfen haben, bevor sie überhaupt die Chance hatten, sich selbst vorzustellen und zu zeigen, wer sie sind.

Natürlich ist das anstrengend. Es laugt aus und es nimmt die Energie, die dann an anderer Stelle fehlt. Ich glaube, dass Weiße - und ich nehme mich da selbst nicht aus - sich darüber wenig Gedanken machen, wie anstrengend es ist in einer Gesellschaft zu leben, die dich schon vorab als optisch "nicht zugehörig" ansieht und deren Anerkennung du dir sozusagen erst durch Leistung oder erwünschtes Verhalten "verdienen" musst.

In Deutschland leben heute mehr etwa 21 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Sie repräsentieren rund 26 % der Bevölkerung. Dennoch ist das psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungssystem bisher nicht ausreichend in der Lage, sie angemessen zu behandeln.

Wir brauchen mehr Therapeut*innen mit Migrationshintergrund sowie Fachpersonal, das sensibel mit kulturellen Unterschieden umgehen und sich empathisch mit Rassismuserfahrungen auseinandersetzen kann. Denn wer diese Erfahrung selbst noch nie gemacht hat tut sich vermutlich schwer damit, die Gefühle der Betroffenen nachzuvollziehen und entsprechend einfühlsam zu reagieren.

...


* (1) Weiß ist in diesem Text kursiv geschrieben, um den Konstruktcharakter hervorzustellen.

** Ansatzpunkt dieses Blogbeitrags war ein Beitrag von Journalistin, Rapperin und DJane Miriam Davoudvandi, die das Thema "Mentale Gesundheit" mit ihrem Podcast
"Danke, gut" in Form von Interviews mit Persönlichkeiten aus der Popkultur aufgreift.

Miriam Davoudvandi bei Twitter : @labiledeutsche



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